Einhundertneunzig  Kilometer auf Grenzsteinsuche entlang der sächsisch-preußischen  Grenze von 1815 in der Oberlausitz 
Von Hans-Joachim Gawor

20.10.2020

Die sächsisch-preußische Grenze, die nach dem Wiener Friedensvertrag von 1815 die Oberlausitz schmerzlich teilte,  verläuft  in nord-westlicher Richtung quer durch die Oberlausitz von der Ortschaft Wilka an der Wittig (Witka/Polen) bis nach Kroppen an der Pulsnitz.

Die Länge der sächsisch-preußischen Grenze beträgt in der Oberlausitz ca. 189 Kilometer. In der Hauptkonvention zum Wiener Friedensvertrag wird der genaue Grenzverlauf detailliert beschrieben. Die Grenze verläuft entlang  der alten Kreisgrenzen und der Flurgrenzen von Gemeinden, Herrschaften, Kloster- und Kirchen-Besitzungen sowie Bauern- und Rittergütern. Sie  teilte historische gewachsene Landeszusammenhänge, wirtschaftliche Strukturen, Wälder, Flüsse und Teiche sowie elf  Kirchspiele und    sieben    Grundherrschaften.

 


Bild 1: Die Teilung der Oberlausitz im Jahre 18151 

.Noch   heute   bildet    die   alte   Trennlinie   die    Kirchengrenze zwischen den katholischen Bistümern Dresden-Meißen und Görlitz als auch die Kirchengrenze zwischen der Evangelischen-lutherischen   Landeskirche Sachsen und der der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.Erstmalig  wurden im  Jahre 1818 Grenzzeichen entlang der neuen Trennlinie aufgestellt. Aus Kostengründen sind keine Grenzsteine, sondern weithin sichtbare Holzsäulen zur Grenzmarkierung genutzt worden. An den  festgelegten Grenzpunkten standen sich je zwei Holzpfähle mit den Hoheitszeichen Sachsens und Preußens gegenüber. Innerhalb von drei Monaten waren die Grenzsäulen gesetzt.2 In den Protokollen der gemischten Grenz-kommissionen von 1818, denen neben den Commissarien beider Staaten vornehmlich die Ortsrichter,  Schöffen und Revierjäger der betroffenen Territorien angehörten, wird der genaue Grenzverlauf und die Aufstellpunkte der Grenzpfähle  beschrieben.3 Ab 1828 werden die Holzpfähle durch Grenzzeichen aus Stein (Pilare) ersetzt. Die preußischen Entwürfe dienten dabei als Vorlage.4 Der Abstand der Grenzzeichen zueinander ist nicht einheitlich, sondern sehr unterschiedlich, und richtete sich nach den örtlichen Gegebenheiten wie Gräben, Flüsse und Fahrwege.  Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Grenzsteinpunkten beträgt ca. 200 Meter (zwischen GS 115 und GS 116) und die größte Entfernung ca. 4350 Meter (zwischen GS 99 und GS 100). Die aufgestellten Grenzsteine zur Kennzeichnung des Grenzverlaufes haben verschiedene Formen und Größen. 

Von GS 1 bis GS 81 markieren je zwei Granitquader die Grenzlinie. Ein Grenzstein steht auf sächsischem Gebiet und der andere auf preußischem Gebiet. Dazwischen verläuft die  Grenzlinie. Beide Grenzzeichen tragen die gleichen Nummern.  Zeitweilig waren in diesem Bereich die sächsischen Grenzsteine mit grün-weißen und die preußischen Grenzsteine mit schwarz-weißen Bordüren gestrichen. 

Vom Grenzpunkt 82 bis zum Grenzpunkt 148 steht – bis auf zehn Ausnahmen –  jeweils nur ein Grenzstein direkt auf der Grenzlinie. Die Form entspricht einem Pyramidenstumpf. Auf der einen Seite der Grenzzeichen steht KS (für Königreich Sachsen) und auf der anderen Seite KP (Königreich Preußen) und jeweils darunter  die Grenzsteinnummer.  Die eine  Hälfte des Grenzzeichens war ehemals mit gezackten grün-weißen Bordüren und die andere  Hälfte mit gezackten schwarz-weißen Bordüren  gestrichen. Bei zehn Grenzsteinpunkten im Bereich von GS 82 bis GS 148 gibt es Abweichungen von der ursprünglichen Festlegung. An unübersichtlichen Punkten,  wie z.B. am Raudener   Teich, an der Kleinen Spree (bei Hermsdorf), am ehemaligen Holschaer Graben (heute Kaolingrube Caminau) und am Ruhländer Schwarzwasser wurden jeweils zwei Grenzsteine aufgestellt.

Beide Grenzsteinformen ragen etwa 90 cm aus dem Erdreich und haben einen gewaltigen,  unbearbeiteten Fuß, der bis ca. 70 cm im Erdreich steht.
 

 
Bild 2:  GS-Form von Nr. 1 bis Nr. 81
                 Bild 3:  GS Form von Nr. 82 bis Nr. 148  
 

Der  letzte Grenzstein in der  Oberlausitz,  die Nummer  149, ist ein  schlanker  Sandsteinquader von 150 cm Höhe. Westlich der Oberlausitz, von der Pulsnitz bis zur Elbe ändert sich erneut die Grenzsteinform. Neben den schlanken Sandsteinquadern (Bild 4) gibt es in diesem Bereich auch Pilare mit prismatischer Form. (Bild 5)

  
Bild 4:  GS-Form ab  Nr. 149                             Bild 5: GS-Form zwischen GS 154 bis GS 212
 
 

Zwischen den einzelnen Grenzsteinpunkten wurden zur Markierung des gesamten Grenzverlaufes so genannte Läufersteine aufgestellt. Die ersten drei Läufersteine entlang des Grenzverlaufes habe wir bei Hagenwerder, etwa 800 Meter hinter dem GS-Paar 10 in Richtung GS-Paar 11 gefunden. Die nächsten beiden Läufersteine gibt es erst wieder, beim  GS-Paar 15.  Vom Läuferstein 10-1 bis kurz vor das Grenzsteinpaar 62 (bei Gebelzig)  haben die Läufersteine die Abmessungen 20 x 20 Zentimeter. Bis auf wenige Ausnahmen liegen  die Toleranzen bei einem Zentimeter. Auf dem Kopf tragen sie jeweils ein gleichmäßiges Kreuz, dessen Ausführung unterschiedlich ist. In manchen Abschnitten sind die Kreuze mit schön geschweiften Enden (Schwalbenschwanz) versehen, in anderen Abschnitten sind sie ganz einfach. Die Läufersteine ragen in diesem Bereich in der Mehrzahl bis zu 30 cm aus dem Erdreich und sind deshalb gut zu finden. Ab Grenzsteinpaar 62 bis zum Grenzstein 152 sind die Läufersteine bedeutend größer. Sie haben die Abmessungen von 25 x 25 Zentimeter und die Toleranzen betragen bis zu zwei Zentimeter. Es fällt auf, dass die Seitenflächen dieser Läufersteine sehr glatt bearbeitet sind, besser als bei den Läufersteinen bis zum Grenzsteinpaar 62. Auf dem Kopf haben sie ebenfalls ein Kreuz, aber die Größe und die geschweiften Enden sind nicht so ausgeprägt.


Bild 6:  Läufersteinform ab GS 62 bis GS 152     Bild 7: Läufersteinform ab GS 152
 

Bei mehreren Abschnitten z.B. von GS 102 bis GS 103 und von GS 105 bis GS 106 kann man an den Läufersteinen noch nachträglich aufgemalte Ziffern erkennen. Sie dienten bei den bis 1932 regelmäßig durchgeführten  Grenzzeichenkontrollen zur genauen Bestimmung der Läufersteine. Ab dem GS-Paar 152 nehmen die Läufersteine wieder eine andere Form an. Die Abmessungen betragen zwar ebenfalls 25 x 25 Zentimeter, jedoch sind die beiden Kopfkanten quer zum Grenzverlauf  abgerundet.   Die  beiden  Seiten  parallel zum  Grenzverlauf   sind   mit  eingemeißelten   fortlaufenden Läufersteinnummern versehen. Nach jedem Pilar beginnt die Zählweise der Läufersteine wieder mit eins. Dadurch kann man in diesem Bereich die heute fehlenden Läufersteine leicht feststellen. Auf dem Kopf der Läufersteine ist ebenfalls ein gleichmäßiges Kreuz vorhanden und zusätzlich der Grenzverlauf (gerader Verlauf oder Knickpunkt), dargestellt. Das Steinmaterial ist nicht so hart, als das von GS 1 bis GS 152.
 

Nach umfangreichen Recherchen im Staatsfilialarchiv Bautzen begann ich ab Januar 2008  mit der Grenzsteinsuche. Ich wollte aber nicht nur die großen Pilare finden, sondern stellte mir das Ziel, den gesamten, wahren Grenzverlauf mit den dazwischen befindlichen Läufersteinen und weiteren Grenzzeichen zu suchen. Kurze Zeit später schloss sich Peter Seltenheim aus Wartha diesem Vorhaben an. Ab Sommer 2009 gehört auch der Königswarthaer Werner Rentsch zu unserem Team. Dennoch ging ich viele Abschnitte allein und übernahm die gesamte Vorbereitung, Auswertung sowie die Verbindung zu zahlreichen Heimatforschern in der Oberlausitz. Im April 2011 hatten wir es dann geschafft. Allein den genauen 189 Kilometer langen Grenzverlauf in der Oberlausitz zu finden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die mit einem hohen logistischen Aufwand und sehr viel Zeit verbunden ist. Manche Abschnitte mussten bis zu fünf Mal abgegangen werden, um den wahren Grenzverlauf zu finden. Über Stock und Stein, über Wiesen und Felder, durch Wälder, Flüsse  und Gräben, durch Feuchtgebiete, Teiche und   Sümpfe, durch Gestrüpp, Schilf, Binsen, Brennnesseln, hohen Farn und wilden Brombeerranken, durch Tagebaue und Truppenübungsplätze, durch  Dörfer und Städte, über den steilen Basaltkegel des Spitzberges bei Deutsch-Paulsdorf und unzählige Hindernisse und Erschwernisse waren wir unterwegs. Im Ergebnis der mehr als dreijährigen Suche wurden in der Oberlausitz (von GS 1 bis GS 149) neben den noch vorhandenen 203 Pilaren bisher noch 995 Läufersteine, 320 lokale Grenzsteine oder Flursteine unterschiedlicher Form und Größe, achtundzwanzig Marksteine und sechs   Forstgrenzsteine  gefunden, fotografiert und in Karten dokumentiert. Die  genannten Grenzzeichen  stehen ausschließlich auf der alten Grenzlinie. Die erstellte Dokumentation dazu habe ich im Herbst 2011dem Sächsischen Landesamt für Denkmalpflege übergeben.

Im Herbst 2010  gelang es uns auf der Grundlage umfangreicher Recherchen in alten Dokumenten die jahrzehntelang verschollenen Pilare Nr. 92 (sächsische Grenzstein am Raudener Teich) und Nr. 142 (preußischer Grenzstein am Ruhlander Schwarzwasser, bei Sella) zu lokalisieren und erfolgreich auszugraben. Zur gleichen Zeit stand uns an der Pulsnitz das Glück zur Seite. Das gewaltige Septemberhochwasser des Flusses hatte den umgekippten preußischen Grenzstein Nr. 148 nach Jahrzehnten wieder etwas frei gespült.

Mit Unterstützung von Heimatfreunden aus den brandenburgischen Gemeinden Grünewald und Sella wurde der ehemals preußische Grenzstein 142 im Mai 2011 am alten Arm des Ruhlander Schwarzwassers wieder aufgestellt.

  
   
Bild 8: Freigelegter GS 142P im Okt. 2010    Bild 9:  Aufgestellter GS 142P im Mai 2011  

Zwischen den Grenzsteinen 98 und 111 sowie 118 und 121 fehlen an mehreren Pilaren die Buchstaben KS und KP,   die Ziffern sind aber gut zu lesen. Einige Grenzsteinsucher glauben, dass dies nach 1945 erfolgte. Der langjährige Bürgermeister von Königswartha, Herr Gerhard Benad (1948 bis 1990) konnte mir jedoch nichts über einen Aktionismus nach 1945 berichten. Im Frühjahr 2010 hatte ich Einblick in Archivunterlagen der Gemeinde Königswartha, die sich mit der Betreuung und der Pflege der Grenzzeichen in Königswartha und den späteren Ortsteilen Neudorf, Johnsdorf, Caminau und Commerau beschäftigten.  Demzufolge wurde von 1895 bis 1932 von der Königlichen Amtshauptmannschaft Bautzen jährlich eine Begehung der sächsisch-preußischen Landesgrenze  angewiesen.  Es sind dazu detaillierte Vorschriften für die Gemeindevorsteher, Gutsvorsteher und Revierforstbeamten erlassen worden. Über die Durchführung der Begehung der Landesgrenze musste umgehend die Amtshauptmannschaft  informiert werden.

Für die Durchführung der Grenzbegehung im Jahre 1926 wird in den „Vorschriften für die Landesgrenzbegehung, welche von den Ortsbehörden zu beachten sind“ erstmalig folgendes unter Punkt 6. angewiesen:

Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten ob sich auf den Grenzzeichen von früher noch monarchische Bezeichnungen oder Abzeichen das (Wort „Königreich“ oder Abkürzungen desselben; die Krone) vorfinden. Es ist darüber genau Bericht zu erstatten, damit deren Beseitigung oder Unkenntlichmachung veranlasst werden kann.5

Das Auffinden der Vorschrift von 1926 zur Entfernung der monarchischen Zeichen scheint der Wahrheit näher zu kommen. Im Jahre 1926 fand in Deutschland ein Volksentscheid zur Enteignung der Fürsten statt, der negativ ausging. Im gleichen Jahr schlossen einzelne deutsche Länder Verträge mit den Fürsten für deren Entschädigung ab. Vermutlich wurden danach die monarchischen Zeichen entfernt.

Ein Schreiben der Amtshauptmannschaft Bautzen an den Bürgermeister von Caminau vom 28. August 19266 bestärkt meine Vermutung. Dort heißt es:

Es ist hier folgende Beschwerde eingelaufen: „Hinter dem Dorfe Wartha Kreis Hoyerswerda geht die Grenze des Freistaates Sachsen über die Kreisstrasse. Bei einem Neuanstrich des dort stehenden Grenzsteins ist die Bezeichnung „Königreich Sachsen“, die noch auf dem Grenzstein steht, neu angestrichen worden, “ Wer hat den Anstrich bewirkt? Es ist dafür Sorge zu tragen, dass das Wort „Königreich“ sofort beseitigt bezw. Wenn es in den Grenzstein eingemeißelt ist, so überstrichen wird, daß es nicht mehr sichtbar ist. Über den Erfolg wolle baldigst Bericht hierher erstattet werden.

                                                    Die Amtshauptmannschaft

                                                               Dr. Jungmann   

 

Die Suche nach den Grenzzeichen im Witka-Stausee

Vier Tage vor dem Dammbruch des Witka-Stausees in Polen war ich mit Werner Rentsch am dortigen Stausee auf Grenzsteinsuche. Bei starkem Regen gingen wir von Radomierzyce (Radmeritz) bis zum Bahnhof Zawidow (Seidenberg) am Stausee entlang. Dabei besichtigten wir  auch die Staumauer und die Wehranlage des gut gefüllten Stausees und stellten fest, dass die Grenzzeichen mit den Nummern eins, zwei und drei darin für immer  versunken sind. Zusammen mit Peter Seltenheim war ich wenige Tage nach dem Staudammbruch wieder vor Ort. Was wir zu sehen bekamen, übertraf alle Befürchtungen. Der Staudamm war zu beiden Seiten der Wehranlagen von der Flut weggespült worden. Vom Stausee war nichts mehr zu sehen. Das  Flüsschen Witka verlief wieder in seinem ursprünglichen Flussbett, welches die alte Trennlinie von 1815 war. Alte Straßen und Brücken, Fundamente und Kellergewölbe von früheren Häusern und auch Baumstümpfe,  die fünfzig Jahre im Stausee versunken waren, waren wieder aufgetaucht. Eine sehr tiefe Schlammschicht zu beiden Seiten der Witka erschwerte ein direktes Herankommen an den Fluss. Für uns Hobby-Grenzsteinsucher offenbarte der leer gelaufene Stausee dennoch eine große Überraschung. Anhand alten Kartenmaterials sowie des Protokolls der Grenzkommission von 1818 konnten wir zunächst den Bereich der Grenzsteinpaare 2 und 3 der sächsisch-preußischen Grenze lokalisieren.

 
Bild 10 und 11: Sächsischer Grenzstein Nr.2 und sächsischer Grenzstein Nr.3 am 20.08.2010
 

Schließlich gelang es auf komplizierten Wegen, beide Grenzsteinpaare wieder zu finden.  Grenzsteinpaar 3 fanden wir an der früheren Brücke über die Witka, zwischen den ehemaligen sächsischen und preußischen  Teilen von Nieda. Während sich der sächsische Grenzstein noch aufrecht an seinem ursprünglichen Standort befand, lag der mehr als 600 kg schwere preußische Grenzstein nahezu 200 Meter flussabwärts. Die gewaltige Flut hatte ihn  mitgerissen. Das Grenzsteinpaar 2 fanden wir an der Witka-Brücke, direkt an der alten Fahrstrasse vom ehemals preußischen Wilka  zum  sächsischen Wanscha (heute Spytkow).                                                                                       

Danach ging es weiter zu dem Bereich, in dem wir das Grenzsteinpaar 1 suchen wollten. In der Nähe des Bahnhofs Zawidow (ehemals Seidenberg) befand sich  ab 1815  das Dreiländereck. Dort, wo die Grenzen von Böhmen (damals Kaiserreich Österreich),  Königreich Preußen und Königreich Sachsen zusammentrafen,  wurden die Grenzzeichen mit der Nummer 1 aufgestellt und bildeten den Anfang der sächsisch-preußischen Grenze. Die Suche nach der Nummer 1 blieb jedoch im Jahre 2010 erfolglos. 

Im Februar 2011 waren insgesamt sieben Heimatforscher aus Görlitz, Reichenbach, Königswartha und Hoyerswerda zweimal im Witka-Stausee (Polen), um das historische Grenzsteinpaar 1 der sächsisch-preußischen Grenze von 1815 zu suchen. Unterstützung gab es von Geologen, Messtechniker und Vermesser der GMB GmbH aus Schwarze Pumpe, die ansonsten Ingenieur- und Dienstleistungen für Bergbau und Umwelt durchführen. Die  Zustimmung zur Suchaktion mittels Georadargerät und weiterer Suchtechnik hatte der Bürgermeister von Zawidow (Seidenberg) erteilt. Während der Reichenbacher Manfred Steinmann die Verbindung mit der polnischen Seite herstellte, gelang es dem Autor des Beitrages die Suchfirma für einen kostenfreien Einsatz zu gewinnen. Das erfahrene Team von der GMB GmbH half bereits vor zwei Jahren die verschollene historische „Russensäule“ in Auritz bei Bautzen zu orten.

Die vorgefundenen Bedingungen waren am 10. Februar 2011 extrem. Die Niederschläge der Wintermonate hatten den bereits zuvor stark aufgeweichten Boden weiter zugesetzt. Bis zu einer Tiefe von zwei Metern reichte die aufgeweichte Schlamm- und Schwemmsandschicht. Darüber hinaus hatte sich hier der Flusslauf in den zurückliegenden Jahrzehnten ständig verändert und mit Ablagerungen gefüllt. Schließlich wies das Messtischblatt 74, Sektion Trattlau - Seidenberg von 19307 eine  Messungenauigkeit von mehr als sechs Metern gegenüber den heutigen Navigationsverfahren auf. Den Spezialisten der GMB GmbH gelang es trotzdem den ehemaligen Flusslauf, an dessen beiden Ufern im Jahre 1818 die hölzernen Grenzzeichen aufgestellt wurden, zu bestimmen. Eine weitere Ortung  war an diesem Tage nicht möglich, da ab Mittag die Sonne den Suchbereich auftaute und eine tragfähige Schicht      nicht mehr bestand. Am 24. Februar 2011 erfolgte der zweite Versuch. Nachtfröste bis zu -15° Celsius hatten eine tragfähige Schicht für die Suche mit dem Georadargerätes geschaffen.

 
Bild 12:  Witka-Staudamm am 11.08.2010          Bild 13: Suche mit dem Georadargerät
 

Ein 2500 m² großes Terrain in dessen Mitte die Koordinaten des Suchobjektes lagen, wurde sorgsam abgesucht. Jede Anzeige der Auswertelektronik ist sofort manuell überprüft worden. Schließlich wurden wir am ehemaligen alten Flussverlauf fündig. Etwa zehn Meter östlich der Zentrums-Koordinaten stießen wir in 0,25 Meter und 1,0 Meter Tiefe  auf Steine. Die

anschließende Teil-Freilegung  war kompliziert. Nach dem Durchdringen einer zehn Zentimeter starken gefrorenen Schicht folgte weicher Schlamm. Sofort lief Wasser des alten Flussbettes in die Grube. Mit Eimern gelang es das Wasser teilweise herauszuschöpfen, um Fotos  zu machen und das Grenzzeichen zu vermessen.

Am 18. Juni 2011 waren die drei Königswarthaer Grenzsteinsucher und der Reichbacher Heimatforscher und Grenzsteinsucher Manfred Steinmann erneut im Witka-Stausee. Ziel war es, den georteten Grenzstein auszugraben. Die vorgefundene Situation am Stausee war eine ganz andere als im Februar. Ab Etwa zweihundert Meter vor der Fundstelle führte der Fluss kein Wasser mehr. An der Fundstelle war die vorhandene Schlammschicht an der Oberfläche abgetrocknet, mit bis zu dreißig Zentimeter tiefen Rissen versehen und tragfähig.                                                       

Etwa 250 Meter südlich des alten Flussarmes hatte sich die Wittig ein neues Flussbett geschaffen, durch das nun die Wassermassen mit einer kräftigen Strömung flossen. Der größte Teil des Bodens war mit dichten, bis zu einen Meter hohen Gräsern und Pflanzen bewachsen. Mit Schaufel, Spaten und einem Jauchenschöpfer wurde der Grenzstein manuell freigelegt. Nach etwa 20 Zentimeter begann eine zähe Schlammschicht die mit feinen Sedimenten durchsetzt war. Bei einer Tiefe von etwa 50 Zentimeter lief, aus Richtung Osten kommend, Wasser in die Grube. In einer Schlacht mit dem Schlamm gelang es uns nahezu zwei Kubikmeter  davon herauszubefördern. Immer wieder brach an den Rändern Schlamm ab und die Grube wurde zunehmend größer. In einer Tiefe von einem Meter begann der unbehauene Sockel des Grenzsteines.  Der Grenzstein mit den genauen Abmessungen 34 cm x 40 cm (!) lag schräg nach Norden geneigt, also vom ehemaligen Flussufer weg. Der Kopf des Steines war abgebrochen. Das Material des Grenzsteines ist Sandstein und Spuren einer maschinellen Bearbeitung sind erkennbar. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Kopf manuell abgeschlagen worden ist.  Um den Sockel herum bargen wir in etwa einem Meter Tiefe noch drei kleinere Bruchstücke des Grenzsteines. Eine Ziffer war an dem Fragment jedoch nicht  eingemeißelt. Mit Schlüpfen und Seilen gelang es uns den Grenzstein vom festsaugenden Schlamm freizubekommen und gerade aufzurichten.

Das abgeschlagene Kopfstück konnte bisher nicht gefunden werden. Warum hier nicht Granitgrenzzeichen mit der Nummer  1 gefunden wurden ist gegenwärtig nicht eindeutig zu belegen.

Bei dem Grenzstein könnte es sich um den Hauptstein 1140 der ehemals schlesisch-böhmischen Grenze handeln. In dem Staatsvertrag von 18698 zwischen dem Kaiserreich Österreich und dem Königreich Preußen ist damals das Setzen neuer Grenzzeichen mit entsprechender Nummerierung entlang der schlesisch-böhmischen Grenze vereinbart worden. In Session XII des Staatsvertrages wird ausgeführt, dass bei dem Ort Wiese (heute Ves; Böhmen), „dort wo die Grenzen von Österreich, Preußen und Sachsen zusammenstoßen“9 der Hauptstein 1140 gesetzt wird. Leider konnte ich in dem Staatsvertrag keine Hinweise über die Maße dieser Grenzzeichen finden.

Es sind also weitere Aktivitäten erforderlich, um eine zweifelsfreie Bestimmung des Grenzzeichens durchzuführen. Somit behält der Witka-Staussee vorerst die Geheimnisse für sich.

 
Bild 14:  Aufrichten des Grenzzeichens              Bild 15:  Freigelegtes Grenzzeichen

 Quellenverzeichnis 
  1
Karten der Lausitz um 1820 von E. Hartstock im Buch Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft, Seite 71, mit nachträglichen Eintragungen der Grenzlinie,      Grenzorte und  Grenzpunkte durch H.-J. Gawor

  2  Diplomarbeit von Frank Reichert von 1999 „Zur Feststellung…“, Seite 88

  3  StFilABZ, Oberamtsregierung 3262, Protokoll der Grenzkommissionen

  4  StFilABZ, Oberamtsregierung 3264, Seite 6 und 7

  5  Archivunterlagen der Gemeinde Königswartha

  6  Archivunterlagen der Gemeinde Königswartha

  7  Deutsche Fotothek, Kartenforum, Topographische Karten Sachsen 1:25000 von 1872 bis     1942, Blatt 74 von 1906

  8  Familienchronik Jursitzky, Staatsvertrag von 1869, Quelle Prager Zeitung vom 17. Juni  1869

  9 Familienchronik Jursitzky, Staatsvertrag von 1869, Sektion XII

   Foto 2 bis13 und 15 von Hans-Joachim Gawor; Foto14 von Manfred Steinmann